WARUM IWAN?

WARUM IWAN?

Schon lange spielten wir als Theatergruppe mit dem Gedanken, Iwan den Schrecklichen, ein selten gespieltes Drama Michail Bulgakows, aufzuführen. Wir haben eine Vorliebe für wenig bekannte oder auch vergessene Schätze. Doch warum schien gerade jetzt der Zeitpunkt reif für dieses Drama, für einen sowjetischen Dramatiker? Erfahren Sie es in unserem neuesten Blogbeitrag!

Der Meister und Margerita, das ist wohl der Titel, der den meisten in den Sinn kommt, wenn es um den sowjetischen Autor und Dramatiker Michail Bulgakow geht. Vielleicht noch Das Hündische Herz. Doch wer war der Mann hinter diesen Werken?

Im Jahr 1891 als Sohn eines Theologieprofessors in Kiew geboren, war er nach seinem Medizinstudium im Bürgerkrieg 1919 als Militärarzt tätig. Diese Erfahrung bildete die Grundlage für seinen ersten Roman Die weiße Garde. Er arbeitete bei verschiedenen proletarischen Zeitschriften in den folgenden Jahren, doch das erfüllte ihn wenig. Obwohl sein Bürgerkriegsdrama Die Tage des Turbins (1926) Stalins Lieblingsstück war, wurde er im selben Jahr von der Geheimpolizei verhört, all seine Manuskripte und Tagebücher beschlagnahmt.

Die sowjetische Bürokratie, dieser Höllenschlund, hat alles aufgefressen. Jeder Schritt, jede Bewegung […] ist eine Folter.

(Tagebucheintrag Bulgakows)

Ab da führte er ein Leben in ständiger Angst. Ab 1929 wurden all seine Stücke verboten, die Presse verunglimpfte ihn. Bulgakow sah als einzigen Ausweg das Verfassen eines Klagebriefs an Stalin selbst. Doch statt einer erwarteten Vernichtung rief ihn der Diktator persönlich an und bot ihm scheinbar wohlwollend eine Anstellung am Theater an. Dadurch schaffte er es 1936 sogar ans Bolschoi Theater. Ein von Bulgakow gewünschter Auslandsaufenthalt aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands wurde ihm allerdings bis zu seinem Lebensende nicht gestattet. Er erlag 1940 einem sich rapide verschlechterndem Nierenleiden. So erlebte er nicht den Erfolg seines bekanntesten und erfolgreichsten Romans, Der Meister und Margerita, der in gedruckter Fassung erst 30 Jahre nach seinem Tod erschien und sich einer satirisch-grotesken Reise durch die Zeit widmet. 

Zur Adaption

Bei dem von uns ausgewählten Drama Bulgakows handelt es sich ebenfalls um eine satirisch-groteske Reise durch die Zeit. Hier noch einmal kurz zum Inhalt: Über einen aus allen Nähten platzenden Wohnblock wacht und richtet der Hausmeister Iwan Wassiljewitsch. Unter den Bewohner:innen befindet sich auch ein Erfinder, dessen neu entwickelte Zeitmaschine versehentlich in Aktion tritt. So beginnt eine politsatirische Odyssee durch Raum und Zeit, mit Zwischenstopp in der Vergangenheit am Hofe Iwans des Schrecklichen und an einem mysteriösen Ort in der Zukunft namens Glückseligkeit, von dem eine Rückkehr mehr als nur eine technische Herausforderung darstellt.

Das Theaterstück entstand in unserer Eigenbearbeitung aus zwei Versionen desselben Dramas, das Zeitreisen des Hausverwalters Iwan Wassiljewitsch abbildet: Die eine führt in die Vergangenheit an den Hof des Zaren Iwan IV. (1530 – 84), mit Beinamen der Schreckliche, während der eigentliche Zar in der Gegenwart landet. Die andere führt in die Zukunft nach Glückseligkeit, einen utopischen Kommunismus. Tatsächlich verfasste Bulgakow die Zukunftsversion unter dem Titel Glückseligkeit (1933-34) zuerst. Diese wurde jedoch gar nicht erst zugelassen. Doch auch die überarbeite Fassung unter dem Titel Iwan Wassiljewitsch (1934-35) wurde direkt nach der Generalprobe verboten. Der grausame Zar Iwan war zwar unter Stalin als positive Gestalt in der russischen Geschichte rehabilitiert worden. Doch die im Stück gezeigte zeitweilige Herrschaft des Hausmeisters als Zar erregte Missfallen, ließ sie doch den Gedanken aufkommen, jeder Beliebige könne die Stelle des Machthabers (also Stalins) ausfüllen. Die beiden Versionen wurden posthum veröffentlicht und werden bis heute nur selten aufgeführt.  

Bulgakow flüchtete sich, wie in den meisten seiner Werke, auch hier ins Groteske und Fantastische. Die Adaption ist jedoch nicht, wie ursprünglich, als reine Komödie angelegt, sondern als polit-satirischer Science-Fiction. So wird der groteske und surreale Ansatz ausgebaut und abstrahiert. Auch der futuristische Ort Glückseligkeit wird aus heutiger Sicht neu interpretiert.

Zudem lässt die Adaption Bezüge zu aktuellen Krisen erkennen, etwa in Anspielungen auf heutige Diktaturen, Kriege und Zukunftsängste. Dem Publikum eröffnen sich Paralleluniversen, die weit mehr als im Original, von Unsicherheiten und Misstrauen, dem Gefühl des Ausgeliefertseins und von Machtmissbrauch gekennzeichnet sind. All dies schiene ausweglos, läge darüber nicht der Bulgakowsche Humor.

Zu den Figuren 

Als Titel für das adaptierte Stück entschieden wir uns für IWAN: Doch ist Iwan überhaupt die Hauptperson? Und welcher von beiden? Der dümmlich wirkende Hausverwalter Bunscha, der in der mystisch-grausamen Vergangenheit seine übermächtige Position zu genießen beginnt oder Iwan, der brutale Herrscher, der den neuzeitlichen Erfindungen zunächst so ängstlich begegnet, bald jedoch auch die Hausbewohner in Angst und Schrecken versetzt? Sind es Versionen ein und desselben paranoiden Tyrannen? 

Oder ist nicht doch der Erfinder Timofejew der wahre Held der Geschichte, der als unverstandenes Genie wie ein Außenstehender auf den ihn umgebenden Wahnsinn blickt? Der auf der Suche nach einer besseren Welt ist und doch eine immer schrecklichere heraufbeschwört?

Möglicherweise gibt es gar keine Hauptperson, sondern nur ein Set aus Machtgierigen und den ihnen ausgelieferten kleinen Menschen und deren Machenschaften, aus universalen Typen, die austauschbar und in allen Zeiten auffindbar sind. Was für diese Anti-Helden zählt, ist, sich selbst zu bereichern, wo es geht und nur an ihr Überleben zu denken. Sie zeigen den menschlichen Egoismus in vielen Varianten auf. Doch wohin führt ein solches Denken?

In Glückseligkeit zeigt sich, dass die daraus resultierende Zukunft auch nicht wünschenswert ist: Das Glück ist von oben verordnet, man misstraut allen, träumt von der Möglichkeit, wiedergutzumachen und ist doch nur in Kontrollorganen gefangen. Zurück bleiben am Ende die letzten in den Raum geschleuderten Worte der Meisterdiebin Mascha und des Erfinders Timofejew:

Man darf nicht alles mit sich machen lassen und nur hoffen, dass die Welt von selbst besser wird. Man hat eine Verantwortung, ja die Pflicht, eigenständig zu denken und zu handeln.

(Zitat aus IWAN, frei nach Michail Bulgakow)

Dieser Appell richtet sich nicht nur an die Antihelden, sondern auch an uns. 

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