LIEBE, LUST UND LEIDEN

LIEBE, LUST UND LEIDEN

Als freie Theatergruppe begannen wir unsere Zusammenarbeit vor genau 10 Jahren in der Theatergruppe des Labenwolf-Gymnasiums mit Carlo Goldonis Die Wirtin. Zu unserem Jubiläum greifen wir erneut den Publikumshit des ausgehenden Masken- und Typentheaters – der commedia dell´arte – auf. Aber dieses Mal werden die Karten neu gemischt: Liebe, Lust und Leiden werden auf völlig neue Weise interpretiert!

Die hübsche Mirandolina leitet ein kleines italienisches Hotel und jeder Mann, ob reich oder arm, ist ihr verfallen. Ernst meint sie es jedoch mit keinem: Geschenke und Komplimente, gerne, doch ihre Unabhängigkeit weiß sie zu schätzen. Wäre da nicht einer unter ihren Gästen, der Frauen über alles hasst. Ausgerechnet in ihrem Hotel! Nun heißt es, diesen Frauenhasser mit raffiniertem, wohldurchdachten Charme zu bekehren.

Doch wie verliefe die Geschichte eigentlich mit vertauschten Rollen? Angenommen, der Wirt wäre ein Mann. Hätte Mirandolina auch so viel Spaß, wenn sie, die den Männern abgeschworen hat, zum Spielball eines Don Juan werden würde? Und wie würde dieser eine Frau bekehren, die Männer über alles hasst? Wie weit darf eine Frau gehen, wie weit ein Mann? Gelten dieselben Regeln? Wie gleichberechtigt ist man/frau überhaupt?

Die Wirtin (italien. La locandiera) ist eine Komödie in drei Akten von Carlo Goldoni. Sie wurde 1753 in Venedig uraufgeführt und wurde bis heute mehrfach in Opern und Filme adaptiert. In der Adaption von IN MEDIA SCAENA wird Goldonis Komödie gleich doppelt gespielt, in beiden Versionen, zum doppelten Vergnügen des Publikums. Das Spiel um Liebe und Macht kann beginnen!

Auf Goldonis Spuren

Carlo Goldoni wurde 1707 in Venedig geboren. Er studierte Jura und Theologie unter anderem in Padua, wo er 1731 auch promovierte. Seine ersten beruflichen Erfahrungen sammelte Goldoni als Sekretär des Vizekanzlers des Kriminalgerichts in Chioggia und Feltre, betätigte sich nebenbei als Schauspieler und verfasste erste Lustspiele.

Kurz nachdem er sich als Advokat in seiner Heimatstadt Venedig niedergelassen hatte, musste er aufgrund einer Liebesaffäre die Stadt fluchtartig verlassen. So begegnete er Giuseppe Immer, Leiter des Theaters San Samuele, der ihn an das venezianische Opernhaus, San Giovanni Crisostomo, vermittelte. Zwei Jahre später heiratete er Nicoletta Cannio, Tochter eines Notars in Genua. Der Konflikt zwischen seiner Leidenschaft für das Theater und der Notwendigkeit des Broterwerbs machte Carlo Goldoni schwer zu schaffen. Er arbeitete weiterhin als Anwalt und schrieb nebenher schrieb unter anderem die Komödie Il servitore di due patroni (Der Diener zweier Herren), die 1746 in Mailand uraufgeführt wurde. 1761 ging er nach Paris und feierte als Theaterdirektor am französischen Hof mit seiner 1771 uraufgeführten Komödie Le bourru bienfaisant (Der herzensgute Unwirsch) noch einmal einen großen Erfolg.

König Ludwig XV. ernannte Carlo Goldoni 1764 zum italienischen Sprachlehrer seiner Töchter. Damit hätte er finanziell ausgesorgt gehabt, wenn ihn nicht die Französische Revolution dieser Einnahmequelle beraubt hätte. Verarmt und erblindet starb er am 6. Februar 1793 in Paris – genau an dem Tag, an dem ihm der Konvent die von 1768 bis 1792 gezahlte Jahrespension wieder zusprach. Er schrieb an die zweihundert Theaterstücke und Opernlibretti.

Gegenüberstellung der Geschlechter

Goldonis Rolle in der Theatergeschichte ist von immenser Bedeutung. Seine Theaterreform, die er trotz Widersacher und Neider durchführt, macht ihn zum Erneuerer der italienischen Komödie. Auch La locandiera (Die Gastwirtin), eine Komödie in drei Akten zählt zu seinen neuen Komödien, die sich von der commedia dell’arte, dem Typentheater, entfernten. So verfasst er als Neuerung einen Dramentext mit festgeschriebenen Dialogen und keine ungefähren Anweisungen zum Handlungsverlauf, innerhalb dessen die immer gleichen festgelegten Typen, die darin auftreten, improvisieren. Zudem kann man nicht mehr von Typentheater sprechen: Goldoni bringt alltägliche Menschen mit Charakter auf die Bühne. Dazu passt auch, dass nicht mehr mit Maske gespielt wird, damit die verschiedenen Gesichtsausdrücke der Schauspieler zur Geltung kommen.

Bei Mirandolina, die aus der Maskenrolle Colombina entstanden ist, handelt es sich um eine differenzierte, raffinierte Figur, die ihr Dasein als Bühnenfigur durchschaut. Außerdem ist sie eine der wenigen Figuren Goldonis, über die man nicht lacht, sondern mit der man zusammen lacht. Sie ist es, die die Fehler und Charakterschwächen der anderen Figuren bloßstellt und diesen moralisch überlegen ist. Dass es sich dabei um eine weibliche Rolle handelt, ist für die damalige Zeit bemerkenswert.

Ziel der Gruppe ist es nun, das allseits bekannte Stück, das sie schon einmal aufgeführt hat, kritisch zu beleuchten und in die Gegenwart zu führen. Es tut sich die Frage auf, ob der Geschlechterkampf im Stück auch umgekehrt genauso verlaufen würde. Sind Sätze, die eine Frau zu einem Mann sagt, ebenso amüsant, wie wenn er diese zu ihr spricht, oder werden sie plötzlich aufdringlich und unangenehm? Dazu wird das Stück gerafft gespielt, um dem Publikum in der zweiten Hälfte einen direkten Vergleich mit vertauschten Rollen bieten zu können. Auch das Bühnenbild ändert sich nun nach den Vorstellungen des männlichen Hoteliers. Zudem werden die lazzi, also slapstickartige Witze der commedia dell’arte, in die Gegenwart übertragen, wie etwa in Form der beiden falschen Amerikaner. Am Ende des Experiments zeigt sich dann, ob Mirandolina noch immer triumphieren kann oder als Verliererin von der Bühne gehen muss.

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