Arthur Schnitzlers Das weite Land widmet sich der Institution Ehe, dem Leben nach dem Happy End. Es entführt uns nach Wien, an den von Bergen umgebenen Völser Weiher und in traumartigen Szenen auf das Freudsche Sofa.
Der Unternehmer Friedrich Hofreiter betrügt seine Frau Genia. Als sich aber ein befreundeter Pianist aus unerwiderter Liebe zu ihr umbringt, gibt Friedrich seiner Frau und ihrer Kälte die Schuld. Doch warum reist er dann so überstürzt mit seinem Freund Dr. Mauer nach Südtirol und beginnt eine Affäre mit der jungen Erna? Als er nach seiner Rückkehr erfährt, dass Genia ihn in der Zwischenzeit mit dem Marinefähnrich Otto betrogen hat, entzieht es ihm endgültig den Boden unter den Füßen. Wie weit ist er in seiner Eifersucht bereit zu gehen, um sich an ihr zu rächen?
Wer ist Arthur Schnitzler?
Der österreichisch-jüdische Arzt und Autor Arthur Schnitzler (1862-1931) gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne. Nach seiner erfolgreichen Novelle Leutnant Gustl (1900) wendet er sich ganz dem Schreiben zu. In seinen Werken beschäftigt er sich häufig mit Tabuthemen seiner Zeit, wie dem Ehebruch (z.B. Reigen) und Affären (Anatol). Auch sein Leben ist geprägt von verschiedenen Frauen, mit denen er neben seiner Ehefrau Beziehungen hat. In einer Zeit, in der sich gerade die junge Generation vehement gegen die tradierte öffentliche und private Moral der Vätergeneration richtet und das ausgehende lange 19. Jahrhundert zerrissen ist von einem unbestimmten Endzeitgefühl und einer Aufbruchsstimmung, greift er sich gerade die pikantesten Themen heraus: Sexualität, Moral, Tod, Antisemitismus, Sprachkritik, um nur einige zu nennen. Dabei behandelt er in der Literatur dieselben Tabuthemen, die zeitgleich Sigmund Freud in der Psychoanalyse thematisiert.
Schnitzler selbst geht es dabei nicht um die Darstellung krankhafter Seelenzustände, sondern um die inneren Vorgänge gewöhnlicher Menschen und ihrem Umgang mit ungeschriebenen Vorschriften, sexuellen Tabus und Ehrenkodices der Gesellschaft. Er ist überzeugt davon, mit dem Stück etwas Großes und Zukunftsweisendes geschaffen zu haben. „Dieses wird bleiben, man könnte sagen, es wird erst kommen.“
Die Ehe als Enttäuschung
Die Ehe wird oftmals als Vollendung der Liebe betrachtet. Bekanntermaßen zeigen aktuelle Studien jedoch, dass mittlerweile jede zweite Ehe geschieden wird. Auch die Ehe von Friedrich und Genia ist zerrüttet durch Lüge und enttäuschte Hoffnungen. Es ergibt sich eine Spannung zwischen Konvention und der Sehnsucht nach Nähe und Vertrauen. Schnitzler seziert diese und alle Beziehungen im Stück und deckt unter dem versierten Smalltalk die verborgene Einsamkeit und Lüge auf. In einem Reigen aus intensiven Dialogen zweier Figuren und traumartigen Bildern stellt sich die Frage danach, wie die Figuren mit Lüge und Ehrlichkeit, Intimität und Öffentlichkeit umgehen. Dabei empfand der große Kritiker Alfred Kerr nach der Premiere 1911 eine „tiefe Abneigung wider diese Leute“, da er die moralische Distanzierung Schnitzlers vermisste. Wollte er tadeln oder seine Figuren beschützen, fragte er sich. Das Infame und gleichzeitig Geniale ist, dass Schnitzler die Grenze des Darstellbaren hinausschiebt. So wird der Ehebruch ausschließlich in Form von Konversation auf die Bühne gebracht. Dabei sind die Figuren an das Mäzenenehepaar Eckstein angelehnt, deren Salon Schnitzler und Freud besuchten. Der reale Friedrich wurde schließlich von seiner Ehefrau verlassen.
Traum und Symbol
Zentrales Motiv ist das Spiel. „Es war ein Spiel! Was sollt’ es anders sein?“, sagt der Autor in einem anderen Werk und fügt hinzu, er selbst spiele mit „Menschenseelen“. Das Spiel als solches ist allgegenwärtig im Stück: Das schwarz-weiße Bühnenbild und die fast spielfigurenartigen Bewegungen der Personen im ersten Akt werden abgelöst durch das Tennisfeld im zweiten Akt, dessen Singles und Doppel auf ein doppeltes Spiel hinweisen. Herr Natter spielt Domino, ein Spiel, das selbst in Freuds Traumdeutung eine Bedeutung findet und immer wieder kehrt man zurück zu der geheimnisvollen Billiardpartie zwischen Friedrich und dem Pianisten, nach der dieser Selbstmord begangen hat. Genia bringt es auf den Punkt, als sie sagt „Ich spiele, ich heuchle.“, was Schnitzler auch an anderer Stelle gutheißt „Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug.“ Auch das bestätigt Genia mit den Worten „Ich bin nur klug.“, nachdem Anna sie als „gut“ bezeichnet.
Der Berg und die Leiter sind bei Schnitzler wie Freud Symbole des sexuellen Akts. Deren Besteigung stellt in diesem Fall den Ehebruch dar. Andererseits muss der Berg bestiegen werden, um sich dort Rat zu holen, wie es Friedrich bei Aigner tut, der ihm erklärt: „Die Seele ist ein weites Land.“ Auch das Auto spielt eine wichtige Rolle. Es ist sowohl Männlichkeitssymbol, als auch Brandmarkung Adeles, die von ihrem Mann nach Beendigung ihrer Affäre mit Friedrich einen „scharlachroten Sportwagen“ geschenkt bekommt.
Das Spiel mit den Symbolen gipfelt im vierten Akt, der in dieser Inszenierung als Traum dargestellt wird. Das Freudsche Sofa, von dem aus Friedrich agiert, steht im Gedankenkarussel seiner sich im Walzer um ihn drehenden Vorstellungen. Deren Spiegelmasken reflektieren seine innerste Unsicherheit und seine Ängste. Die sich immer und immer wiederholende gleiche Melodie macht nicht nur ihn wahnsinnig, sie bleibt im Kopf und schwebt über allem wie der tote Pianist. Viele Fragen bleiben offen, Beziehungen treiben wie lose Boote umher, die Personen „gleiten, gleiten immer weiter, wer weiß, wohin“. Das Spiel Schnitzlers mit der menschlichen Seele hat „Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge [ineinander stoßen lassen]. Sicherheit ist nirgends.“ (Schnitzler, Paracelsus)