Grelle Neonfarben und Schwarzlicht erwarten das Publikum bei unserer Adaption des Ibsen-Dramas Die Stützen der Gesellschaft. Wie schon der Titel verrät, ein wahrhaft gesellschaftskritisches Stück. In diesem Artikel werfen wir nicht nur einen Blick hinter den Vorhang auf die Arbeit IN MEDIA SCAENAS, sondern auch auf das besondere Farbkonzept dieser Aufführung.
Doch zunächst zum Inhalt des Stücks: Karsten Bernick ist ein erfolgreicher und allseits geschätzter Vorzeige-Unternehmer, politisch engagiert und stets bemüht, seine Heimatstadt zukunftsfähig zu machen. Doch hinter der schönen Fassade verbirgt sich ein dunkler Fleck in seiner Biografie. Manch einer ahnt, dass mit Bernick und seiner Bilderbuchfamilie etwas nicht stimmt, doch in einem Netz aus Lügen und Korruption sind Wahrheit und Schönfärberei nur schwer zu unterscheiden. Erst als sein verstoßener Schwager aus Amerika zurückkehrt, droht Bernicks Lebenslüge ans Licht zu kommen. Mit dem bevorstehenden Zusammenbruch seines Systems konfrontiert, versucht er mit allen Mitteln, seine Kritiker zum Schweigen zu bringen. Doch würde er auch über Leichen gehen? Und sind wirtschaftliche Macht und Moral ganz ohne Selbstbetrug überhaupt vereinbar? Der Schluss bleibt beunruhigend offen: Ist Bernick nun geläutert, oder hat er lediglich raffiniert sein Image poliert?
Henrik Ibsen, der 1828 in der norwegischen Küstenstadt Skien geboren wurde, begann nach einer Apothekerlehre und während seines Medizinstudiums, erste Dramen zu verfassen. Bald folgte die Zusammenarbeit mit norwegischen Theatern – mit zunächst mäßigem Erfolg. Obwohl sich seine bedeutendsten Dramen (Peer Gynt, Der Volksfeind, Gespenster oder Die Wildente) hauptsächlich um die norwegische Gesellschaft drehen, sind sie im selbstgewählten Exil in Rom, Dresden und München entstanden. Denn in seiner Heimat, der er 27 Jahre fernblieb, fühlte er sich beengt, verkannt und angefeindet. Seine Erfolge im Ausland brachten ihm schließlich auch die Anerkennung in Norwegen ein, wo er 1906 verstarb.
Der Einfluss Ibsens sozialkritischer Werke auf zeitgenössische und spätere Dramatiker:innen ist enorm. Statt klischeebehafteter und immer gleicher Typen stellt er komplexe und natürliche Charaktere der bürgerlichen Gesellschaft ins Zentrum, die von seiner scharfen Beobachtungsgabe und einem psychologischen Feingefühl zeugen. Ein besonderes Interesse gilt einem emanzipa- torischen Frauenbild, wie etwa in Nora oder Ein Puppenheim und Hedda Gabler. Was Ibsens Werke und Figuren bis heute auszeichnet, ist ihre zeitlose Aktualität.
Warum gerade dieses Stück?
Ibsens 1877 uraufgeführtes Drama Die Stützen der Gesellschaft ist sein erstes gesellschaftskritisches Zeitstück. Wie ein Lauf- feuer verbreitete es sich in den europäischen Theatern: Vier Wochen nach der Uraufführung lag eine deutsche Übersetzung vor, fünf Berliner Theater spielten es 1878 gleichzeitig und das Publikum feierte die unverhohlene Kapitalismuskritik. Ein Großteil der angeprangerten Probleme in diesem Drama ist bis heute nicht gelöst. Umso erstaunlicher ist es, wie selten es heutzutage zur Aufführung gelangt.
Die Personen bilden ein breites soziales Spektrum ab. Der im Zentrum stehende Bernick repräsentiert dabei einen Großunternehmer, der für schnelles Wirtschaftswachstum und Profitgier nicht nur das Wohl seiner Arbeiter opfert. Auch Umwelt, die eigene Familie, ja Menschenleben spielen keine Rolle. Je lauter er sich für das Allgemeinwohl einsetzt, desto egoistischer sind seine Motive. Er selbst glaubt fest daran, nur das Beste im Sinn zu haben. Sein erfolgreiches Leben in Verblendung basiert auf einem korrupten Netz aus Lügen, das jederzeit zer reißen kann. Erst als ihm das vor Augen geführt wird, reflektiert er darüber, ob ein Leben in Schuld ohne Sühne überhaupt möglich ist.
Warum diese Farben?
Auch die Frauen nehmen eine höchst problematische Rolle in Ibsens Drama ein. Ihnen kommt in dieser Gesellschaft keine andere Aufgabe zu, als ihre geschäftstüchtigen Männer zu unterstützen. Ihre Moral tragen sie in leuchtenden Farben für jeden sichtbar zur Schau, als wahre Stützen der Gesellschaft. Gleichzeitig sind ihre neonfarbigen Outfits ein stummer Schrei nach Aufmerksamkeit. Sie verlieren sich auf ihrer Sinnsuche in den Fängen des Achtsamkeitstrainers Rörlund. Sein weißes Gewand bietet einerseits eine Projektionsfläche für alle(s), andererseits lässt es ihn aber auch zu einem anpassungsfähigen Chamäleon werden. Lona und Johann in ihren schwarzen Kostümen grenzen sich dagegen von der grellen, verlogenen Fassade der restlichen Gesellschaft ab. Mithilfe des Schwarzlichts wird so manches Verborgene erst sichtbar.
Die Figur der Dina bildet die einzige Ausnahme: als Rebellin wandelt ihre Farbpalette. Ihr kann es vielleicht gelingen, der beklemmenden Enge des kleinen Ortes zu entfliehen und die Weite des Meeres – für Ibsen in vielen Werken das Symbol für Freiheit und die Möglichkeit zur Flucht aus bürgerlichen Zwängen – als riesigen Abgrund zu überwinden.