Eine globale Pandemie versetzt die Gesellschaft in Angst und Schrecken. Doch der unbekannte Arzt Dr. Galén entdeckt ein Heilmittel und ist bereit, es der Welt zur Verfügung zu stellen – aber nur zu seinen Bedingungen. Seine unerwarteten Forderungen stoßen nicht nur die Mächtigen vor den Kopf. Mit der vor knapp 90 Jahren entstandenen, hochaktuellen Satire feiert IN MEDIA SCAENA am 22. Mai 2024 in der Kulturscheune Nürnberg Premiere.
Der Verfasser unseres neuesten Projekts, Karel Čapek, einer der vielseitigsten tschechischen Autoren und Dramatiker des 20. Jahrhunderts, wurde durch sein Drama R.U.R., Rossum Universal Robots weltbekannt. Diesem verdanken wir den Begriff Roboter, den Karel und sein älterer Bruder Josef erfanden. Die beiden waren ein beeindruckendes künstlerisch-literarisches Duo.
IM KAMPF FÜR DEMOKRATIE
Am 9. Januar 1890 wurde Čapek, Sohn eines Arztes, im böhmischen Malé Svatoňovice geboren – damals Teil der k.u. k.-Monarchie. Der tschechische Avantgardist und frühe Vertreter des Science Fiction feierte mit Romanen wie Der Krieg mit den Molchen internationale Erfolge. Literarische Größen aus ganz Europa standen in regem Kontakt mit ihm, wie etwa Thomas Mann, H.G. Wells oder G.B. Shaw. Als Journalist schrieb Čapek gegen aufziehende totalitäre Regimes an und warnte gleichermaßen vor den Gefahren des Faschismus, Nationalsozialismus sowie Kommunismus. Er setzte sich zeitlebens für Demokratie und europäische Friedensbestrebungen ein.
Der dramatischste Aspekt [unserer heutigen Zeit] liegt im Aufeinandertreffen zweier gegensätzlicher Ideale: Einerseits das moralische Ideal der universellen Menschlichkeit, der demokratischen Freiheit, des globalen Friedens und der Achtung der Menschenrechte. Auf der anderen Seite ein dynamisches, menschenfeindliches Ideal von Macht, Herrschaft, nationaler und anderweitiger Expansion, für das Gewalt ein willkommenes Mittel und das menschliche Leben nur ein Werkzeug sind.
Aus dem Vorwort von Karel Čapeks Die weiße Krankheit, 1937
Im Zuge des Münchner Abkommens, durch das die Tschechoslowakei 1938 das Sudetengebiet an Hitler abtreten musste, wurden Čapeks Warnungen zur Realität. Die Nationalsozialisten planten seine Verhaftung, doch am 25. Dezember 1938 verstarb er unerwartet an einer Lungenentzündung, nur wenige Wochen bevor der Rest des Landes besetzt wurde. Sein Bruder Josef dagegen wurde deportiert und starb im April 1945 auf dem Rückweg aus dem KZ Bergen-Belsen.
EIN WIEDERENTDECKTES ANTIKRIEGS-DRAMA
Im Januar des Jahres 1937 feierte Karel Čapeks Die weiße Krankheit (im Original Bílá nemoc) in Prag Premiere in einer angespannten gesellschaftlichen Atmosphäre. Die Angst vor einem Krieg mit dem benachbarten Hitler-Deutschland war allgegenwärtig. Bald war das Stück auf zahlreichen internationalen Bühnen zu sehen und kam als Antikriegsfilm in die Kinos. Durch seinen frühen Tod und den Eisernen Vorhang gerieten Autor und Drama hierzulande fast in Vergessenheit und werden seit der Corona-Pandemie erst langsam wiederentdeckt.
ARZT GEGEN DIKTATOR
Im Drama konfrontiert Čapek die Ideen eines Diktators, der einen Offensivkrieg zur “Erweiterung des Lebensraums” vorbereitet, mit denen eines pazifistischen Arztes. Eine Provokation ist durchaus beabsichtigt. Dr. Galén erpresst die Mächtigen mit seinem Heilmittel gegen die Seuche. Er ist bereit, kurzfristig Menschenleben zu opfern, um für die restliche Menschheit ein ewig friedliches Miteinander zu garantieren. Seine Sichtweise ist radikal, utopisch, ja naiv. Nichtsdestotrotz erscheint er als Held oder eine Art Messias, gerade durch seinen Appell an die Menschlichkeit und das Engagement des Einzelnen.
Wenn die Menschen sich mit Blei und Bomben vernichten, warum sollten wir Ärzte irgendjemanden helfen? Wenn Sie nur wüssten, wie viel Arbeit es erfordert, ein Kind zu retten oder einen Soldaten zu heilen. Als Arzt muss ich gegen sämtliche Mordinstrumente sein. Und ich bin Arzt und nicht Politiker, ich kämpfe um jedes Menschenleben. Es ist meine medizinische Pflicht, den Krieg zu verhindern!
Zitat aus krank!, nach Karel Čapeks Drama Die weiße Krankheit, 1937
Andererseits zeigt das Stück die profitgierigen Ärzt:innen, die ihren Vorteil aus der Pandemiesituation zu ziehen versuchen und an den Grausamkeiten des Regimes partizipieren. Schließlich die Familie mit den berechnenden Ansichten verschiedener Generationen, die fast wie ein Chor das Geschehen kommentiert sowie mitträgt und am Ende in die aufgeputschte Menge übergeht. Immer wieder stellt sich die moralische Frage, ob man aus Heilmethoden überhaupt ein Geschäft machen darf, ob es so etwas wie Weltfrieden überhaupt geben kann, zu welchen Kosten und unter welchen Zugeständnissen und wie weit wir bereit sind, dafür zu gehen.
AKTUALITÄT
Damit ist das Stück ein wichtiges Zeitdokument, weist aber auch darüber hinaus. Die Realparallelen zu den Gefahren rechter Ideologien in unserer Zeit sowie zur Corona-Pandemie sind erschreckend. So überrascht es nicht, dass die Wiederentdeckung Čapeks gerade in die heutige Zeit fällt. Während viele seiner Werke vor der Corona-Pandemie als reine Dystopie zu lesen waren, erscheinen sie heute fast prophetisch.
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Aufführungen
22. – 25. Mai 2024 um 19 Uhr
Kulturscheune der Altstadtfreunde Nürnberg, Zirkelschmiedsgasse 30
Tickets
15 €, ermäßigt 10€ für Schüler:innen/ Studierende
Reservierungen telefonisch über die Altstadtfreunde Nürnberg e.V. unter 0911/ 5072360